Interpretationen zur Portraitkunst

In: Deutsche kunst und dekoration, illustrierte Monatshefte, herausgegeben von Hofrat Alexander Koch, Bd. XLII, April 1918 - September 1918, erschienen in Verlagsanstalt Alexander Koch, Darmstadt.

Bildnisse von Oskar H. Hagemann; Autor Fritz Max Cahen/Kopenhagen

Gefunden in www.archive.org

 

 

BILDNISSE VON OSKAR H. HAGEMANN.

Obschon diesen Hagemannschen Bildnissen nichts fremder ist, als das naturferne Braun und Blaugrau und das maßbestimmte Gebäude kubistischer Expression, leiten sie doch mit eins auf das Problem des Künstlers, der nicht mehr in der impressionistischen Auflösung der Erscheinung seine Aufgabe suchen will. Es spricht aus ihnen der Wille zu kompositorischer Gefügtheit und zur bewussten Form. Alle Abschweifungen und Verführungen der künstlerischen Entwicklung haben im Porträt ihr Maß und ihr Regulativ. Man erlebt hier deutlich, was - um es mit einem zunftartigen Ausdruck zu belegen - der Auftrag für die Entwicklung des Künstlerischen bedeuten kann. Mit den Forderungen des Porträts wird der malerische Neuwille vor seine schwierigsten Entscheidungen und vor seine bedeutungsvollsten Abgrenzungen gestellt. Was weder die von aller Erscheinung gelöste Expression, noch die aus dem willkürlichen Naturausschnitt gesogene Impression verlangen, wird hier zur Notwendigkeit: der Auftrag, die Aufgabe des gegebenen Gegenstandes, wird zu dem Einblick, der die Standhaftigkeit des künstlerischen Zielstrebens am rücksichtslosesten enthüllen muss. Nirgends sonst stehen sich Innen und Außen in solcher Krassheit gegenüber. Die Bindung in der Erscheinung und die — nun ja denn ! — Energie im formalen Erschauen kämpfen hier ihren erbittertsten Kampf aus. Wer um Form ringt, wird es am härtesten im Porträt tun müssen. In diesem Sinn kommt bei Hagemann die Frage nach Ausdruck (Expression!) zu einem Ausleben, das ihn trotz allen Mangels an Exzentrizitäten als Bundesgenossen des jüngsten künstlerischen Strebens erscheinen lässt und ihn meilenweit vom Langweiligen entfernt. Will man eine Eigenart bei diesem Künstler festhalten, so hat man sich nur um das eigenartige Leben zu kümmern, das von den Händen aller der Personen ausgeht, die ihm als Gegenstand seiner Bilder gedient haben. Kein Leben etwa wie vor der akkuratest arbeitenden Kamera. Aber auch kein Leben von Händen , wie in Bildern alter deutscher Meister; Hände, die ein losgelöstes selbständiges Leben leben, die sich in den lastenden Flug gewitternder Wolken verkrallen, sich in der Erde Braun und Grün vergraben. Das Leben der Hagemannschen Hände liegt vielmehr in ihrer Bedeutung für das Gefüge des Bildes, beruht auf ihrem Wert in der Komposition, durch den sie ganz selbstverständlich auch ihren besonderen Sinn für das Werden des menschlichen Ausdrucks erhalten, den das Porträt nun einmal verlangt. Vor allem das Bild des sozialistischen Abgeordneten Kolb ist ein Beweis hierfür. Und andere persönliche Kennzeichen der Hagemannschen Kunst; wie alle Plastik des dargestellten Körpers nicht zur Durchbrechung der Bildfläche führt, dass hier das Dunkel nicht zum Einbruch, das Licht nicht zum Vorsprung wird; und weiter, dass das Nebensächliche nur selten die Möglichkeit findet, sich in die unbestreitbar berechtigte Liebe zur Einzelheit einzulisten.

Mit Recht fragt man vielleicht, warum dieser Künstler sich in seinem Schaffen auf den Sonderfall des Porträts beschränkt. Aber ist diese Aufgabe, wenn man sie recht begreift, nicht etwas wie eine reichhaltigste Möglichkeit der künstlerisch -schöpferischen Arbeit, und liegt in dieser Beschränkung vielleicht nicht eher ein Zug von Anmaßung als von Bescheidenheit? FRITZ MAX CAHEN.

 



Die Bildnismalerei von Oskar H. Hagemann


Mit den Bildern meines Vaters bin ich von Jugend an aufgewachsen, genaugenommen ab dem Zeitpunkt, als ich sie wahrnehmen und in ihnen etwas sehen konnte. Sie waren nie etwas zum Anfassen oder zum Spielen gewesen. Sie waren mir distanziert, ob durch die Umstände oder sogar durch eine von mir selbst gesetzte Beschränkung.

Das änderte sich erst als ich in ein Alter kam, in welchem ich für meinen Vater als Subjekt seines Malens interessant wurde. Das war schlimm, denn mit zunehmendem Alter wurde ich öfter und öfter gemalt, so dass ich eines Tages meiner Mutter den fragenden Vorwurf machte, warum sie denn einen Maler geheiratet hatte. Das ging sehr oft nur mit Tränen ab, kein Trotz half, kein Davonlaufen. Zum Beginn der Schulzeit wurde es noch schlimmer, denn gleich zu Anfang der immer zu schnell endlichen Ferien musste ich ‚sitzen‘ und konnte nicht mit den Freunden und Kameraden durch die Umgebung stöbern.

Aber bereits früher hatte ich unbewusst begriffen, dass die Malerei etwas sehr Wichtiges sein musste. Noch in das auf dem Gießberg an das gemauerte Gartenhaus oberhalb von Konstanz-Egg angebaute Atelier aus Holz, in welchem immer interessante mir unbekannte Sachen her-umlagen oder standen, war ich einmal am frühen Nachmittag nach einem Spaziergang mit meinen Eltern eingedrungen, wo ich neben einem Bild auf der Staffelei meines Vaters eine weitere Staffelei mit einer Leinwand mit demselben gemalten Gegenstand erblickte, dem Ganzkörperbild eines sitzenden älteren Mannes. Ich betrachtete beide und fand schließlich das zweite Bild viel hölzerner im Ausdruck gemalt als das meines Vaters. Es war ein Schüler meines Vaters zu Gast, um noch etwas von den Malkünsten zu lernen, der im Dorf logierte.
Das Bild gefiel mir nicht neben dem meines Vaters, also holte ich einen Pinsel und wählte eine Tube ‚Siena Natur‘ aus und begann in aller Ruhe und Muße das Bildnis mit dieser Sch…farbe sehr gleichmäßig zu übermalen und fand am Ende Befriedigung darin, das weiß ich noch ganz genau.

Kurze Zeit später wurde ich von meinen Eltern überrascht, die mich suchten. Mein Vater übersah sofort die Situation, nahm das Bild von der Staffelei, kratzte alles ab, spannte es wie-der auf und begann in aller Eile es neu anzufertigen, womit er nach ca. zwei Stunden fertig war. Er hat die Veränderungen seinem Schüler wohl damit erklärt, dass er sich am Nachmittag das Bild noch einmal angesehen und dann einige Änderungen vorgenommen habe. Im Nachhinein fiel mir auf, dass mich keine Strafe, nicht einmal ein böser Blick getroffen hatte. Mein Vater hatte wohl verstanden, dass ich mit meinen Mitteln seine Partei ergriffen hatte.
Auf dieser Grundlage habe ich mich mehr und mehr in seine Bilder hineingesehen. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass ich mich mit nichtssagenden, auch gegenstandslosen, Bildern nicht abgab, weil sie keine Aussage für mich hatten, sie nichts enthielten. Später habe ich mich mit dieser Frage kunsthistorisch sowie kunsttheoretisch befasst.
Mein Vater übte seine Malerei nur in Öl aus. Wenig zeichnete er und dann bei geselliger Gelegenheit oder er aquarellierte aber ebenfalls selten. Wenn er aber die handwerklichen Arbeiten, wie Keilrahmen zusammensetzen, Leinwand aufspannen und grundieren oder was sonst anfiel, erledigt hatte, malte er. Malen, d.h. sich ein Motiv geben und es visuell zu verwirklichen, war sicher seine Leidenschaft, ohne die er nicht sein konnte. Er malte schnell, d. h. er hatte die Technik verinnerlicht, und fasste sein Thema sehr schnell auf, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Seine eigentliche Arbeit bestand darin, seine Idee des ihn packen-den Motivs zu fassen und darzustellen. Folgerichtig wählte er z. B. für Portraits die frontale Stellung, „um eine unmittelbare Beziehung zwischen Bild und Betrachter herzustellen“ , „eine existentielle Verbindung zwischen dem Dargestellten und dem Betrachter zu“ schaffen.
Andere Bezüge zur Ikonenmalerei wie z. B. der Bilderkanon fehlen, weil das Bild des Menschen als Portrait seit der Renaissance säkularisiert ist. Insofern hat die Portraitmalerei seit dieser Zeit eine andere Zielrichtung und verbildlicht eine allgemeinere Kunstvorstellung. Je-doch diese Nähe zur Ikone als Stereotypie zu kritisieren, geht fehl. Selbst die Ikonen weisen einen Kanon von Abweichungen aus der streng senkrecht-axialen Stellung auf, mein Vater hat solche Abweichungen noch modifiziert (Junger Männerkopf 1974), so dass die Person beweg-lich, man könnte sagen ‚dynamisch‘ erscheint, selbst wenn sie den Maler direkt anblickt. So-wenig die Ikonendarstellung als Manier bezeichnet werden kann ebenso fern ist die Auffassung meines Vaters von jeder >Manier< entfernt. „Und mit der Meisterschaft in der Maltech-nik wächst auch Hagemanns Kunst in der psychologischen Einfühlung in seine Modelle. Wenn ein Portrait wie das von Wildhagen oder von Kusterer noch eine – ich möchte sagen – spröde Distanz aufweist, so treten nun die Portraitierten gleichsam aus dem Bilderrahmen heraus und kommen auf uns zu. Ihr Blick wird direkter, sie sprechen sozusagen mit dem Beschauer“ . Und an anderer Stelle: „Hagemann hat die seltene Gabe, den Blick seiner Portraitfiguren zu erfassen, wie er mitten aus dem Kern ihres Wesens herausleuchtet, in einer Unmittelbarkeit, wie es keine Photographie wiedergeben kann.   Er will seinem Modell im Sinne Dürers die Wahrheit aus dem Gesicht reißen.“ Auf solche Weise ein Bild zu lesen ist heute eine weithin verloren gegangene Form der Wahrnehmung. „Wo es sich um bedeutungshafte Darstellung handelt, z.B. bei Werken der bildenden Kunst, soweit sie nicht ungegenständlich-abstrakt sind, ist die Bedeutungshaftigkeit für das Lesen des Anblicks offenkundig leitend. Nur wenn wir das Dargestellte >erkennen<, vermögen wir ein Bild zu >lesen<, ja , nur dann ist es im Grund ein Bild“   Die Auseinandersetzung mit der Photographie, die auch die heute weit verloren gegangene Fähigkeit der Bildbetrachtung in der Malerei facettiert, spare ich mir.

Portraits von so tiefer Aussage , wie sie meinem Vater gelungen sind, sind auch in der Kunst selten. Sicher ist nicht jedes Auftragswerk von der gleichen hohen Bedeutung, das ist auch keinem anderen Maler je gelungen und kann es auch nicht. Wenn, wie Fritz Wilkendorf schreibt, Trübner als Grundlage für das Portrait die in Bildern zu Ausdruck gebrachte Charakter- und Seelenkunde nicht so ausschlaggebend ansah und vielmehr der Ansicht folgte, bei der Malkunst erschöpfe sich das Geistige eines Konterfeis allein in der geistreichen Malweise, so spricht er damit aus, dass das Konterfei das Geistige des Urbilds nicht enthält sondern dass die geistreiche Malweise allein den geistigen Wert des Konterfeis ausmache, dass der Wert des Konterfeis sich nicht am Urbild festmachen lasse, sondern von ihm unabhängigen Eigenwert entfalte, also nicht mehr unmittelbar mit dem Urbild vergleichbar, sondern von ihm losgelöst ist, so ist ihm mein Vater darin nicht gefolgt.

Das Urbild ist das Objekt aus der Wirklichkeit, das es zu sehen, zu erfassen, zu verstehen und zu interpretieren gilt. H.G. Gadamer hat dies beschrieben: „Das Bild ist nicht nur Bild oder gar nur Abbild, es gehört zu der Gegenwart oder dem gegenwärtigen Gedächtnis des Darge-stellten. Das macht sein eigentliches Wesen aus. Insofern ist der Fall des Portraits ein Sonder-fall der allgemeinen Seinsvalenz, die wir dem Bilde als solchem zugesprochen hatten. Was in ihm zum Sein kommt, ist nicht in dem schon enthalten, was seine Bekannten in dem Abgebildeten sehen – die rechten Beurteiler für ein Portrait sind nie die nächsten Angehörigen oder gar der Dargestellte selbst. Denn ein Portrait will gar nicht die Individualität, die es darstellt, so wiedergeben, wie sie in den Augen dieses  oder jenes seines nächsten Menschen lebt. Es zeigt vielmehr notwendig eine Idealisierung, die vom Repräsentativen bis zum Intimsten  un-endliche Abstufungen durchlaufen kann. Solche Idealisierung ändert nichts daran, dass in einem Portrait eine Individualität dargestellt ist und nicht ein Typus, so sehr auch die porträtierte Individualität im Portrait aus dem Zufälligen und Privaten ins Wesenhafte ihrer gültigen Erscheinung erlöst sein mag.“  Die interpretatorische Überhöhung im Geistigen, die aus dem genauen Hinschauen gewonnen wird, ist schließlich die Essenz des Werkes.

Nicht eigentlich anders ist es mit den Blumenbildern, die auch eine –  vielleicht nicht so leicht fassbare – geistige Idee ausströmen, die allein über das Gefühl in das Bewusste gerufen wird. Dietmar Wollfarth hat in diesem Zusammenhang  davon gesprochen, dass mein Vater sich „auch dem Stillen Leben der Blumen und Pflanzen verschrieben“ habe. „Das Erlebnis vom farbigen Blühen scheint oft in den Bereich des Seelischen erhoben.“ Petrus : „denn alles Fleisch, es ist wie Gras, und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen“ versinnbildlicht den Zusammenhang des Menschen mit der Natur und seine seelische Herrlichkeit mit den Blumen des Grases. Ich sehe dabei nicht den Zusammenhang dieses Satzes mit dem Evangelium und religiösen Dogmen sondern die Tatsache, dass ein Mann namens Petrus um die Zeitenwende, also vor 2000 Jahren, diese Idee ausgesprochen und seine Freude an den Schönheiten der Natur gesehen und zum Ausdruck gebracht hat. Eine zweitausendjährige Wahrheit, die erkennen lässt, warum Maler Blumenstücke zum Gegenstand ihres Könnens machen wollen. Wir können ohne alle Umschweife auch darin die ontologische Urbild – Abbild – Beziehung aus „Wahrheit und Methode“ H.G. Gadamers erkennen.
Meinem Vater ist dieser Zusammenhang sicher nicht direkt geläufig gewesen. Wesentlich ist dafür in der Natur – in den Blumen des Grases - die Schönheiten auch wahrnehmen zu können, die Sensibilität zu besitzen, um den bildhaften Ausdruck der Ideen zu sehen. Schließlich werden manche Betrachter verschiedene Züge des Bildnisses hervorheben. Sie wären dann für den Betrachter wie ein Spiegel seines Selbst.
Die von allen Autoren sehr gelobte Landschaftsmalerei, hat verständlicherweise nicht die Vielzahl wie die Blumenbilder, weil die Notwendigkeit gegeben ist, hinauszufahren und ein Motiv zu suchen und dann auch zu malen. Die Gelegenheiten hierzu waren nicht so zahlreich wie es zu wünschen gewesen wäre. Einige Jahre hat die Bekanntschaft mit dem Schüler  Kniel immerhin eine ganze Zahl von Bildern gebracht. Die beiden Herren sind viele Male hinausgefahren, um mit Landschaftsbildern unterschiedlichster Gegenden zurückzukommen. Von diesen hat jedoch der Sammler – der ehemalige Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof - Dr. Bernhard Wieczorek eine große Zahl erworben. Es fällt schwer, die Landschaftsmalerei meines Vaters  in die Geschichte der Landschaftsmalerei einzuordnen. Dabei meine ich nicht die Verschiedenheiten von Maltechniken sondern die Auffassung dessen, was die Landschaft zeigt. Sicher am nächsten ist sie den Impressionisten zuzugesellen. Aber auch Anklänge an Corot und Leibl, die er beide sehr geschätzt hat, sind nicht zu verkennen. Prof. Bentmann hat zum 70. Geburtstag die Landschaften erwähnt: „Auch die Turmberg-Landschaften, die Obstgärten und Berghänge zur Blütezeit und im Herbst bezaubern durch den Zusammenklang von Farbe und Licht“.


© Dr. R. Hagemann 2013 (09.2014 überarbeitet)